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Georg Weise – Sedimente
der Erinnerung
(Text für den Katalog "Ehrfurcht")

Der Berliner Maler und Zeichner Georg Weise hat in den zurückliegenden Jahren einen überwältigenden Kosmos von subtilen Portraits, ätherischen Landschaften und sensiblen Übermalungen erarbeitet. Immer wieder entwickelt er mit größter materieller Ökonomie minimalistische Bildfindungen, die gerade in ihrer Konzentration auf wenige signifikante Motive einen sich weit öffnenden Gedankenraum formulieren. Dieser Raum ist von romantischen Reminiszenzen, von sehnsuchtsvollen Traumbildern und einer zutiefst subjektiven Erinnerungskultur durchwebt. Neben unzähligen Bildnissen junger Männer reihen sich bewegte Wolkenhimmel, stehen immer wieder dramatisch isolierte Telegraphenmasten und filigrane Blütenkelche vor dramatischem Grund. Umgeben von vielfältig zwischen lichten Grau- und Weißtönen changierenden Farbfeldern und - in den Malereien - geborgen unter schützenden Wachsschichten behaupten sich diese Motive in einem nahezu abstrakten Bildraum, dessen malerische und textuelle Strukturen sich zu einer symbolischen Matrix subjektiver und kollektiver Geschichte verdichten. Die Flächen wirken bewegt, scheinen durchwoben von Andeutungen der Vergänglichkeit alles Dinglichen und lassen so Gesichter, Gegenstände und Blüten wie kostbare Pretiosen aus dem diffusen Dunkel des Vergessens hervorleuchten.
Georg Weises Bilder wirken auf uns wie die Erinnerungsarbeit eines Künstlers, der sich in der Weitschweifigkeit der Gegenwart auf die Konstanten seiner eigenen biographischen Geschichte besinnt. Sie scheinen von einer beinahe verzauberten Feinheit, von einer Liebe und Hingabe an wenige Details durchzogen, so als schälte sich aus unzähligen Sedimentschichten persönlicher Traumbilder, liebevoller Erinnerungen und verheißungsvoller Ideale ein Kern von letzter Schönheit heraus, der in seiner fragilen Zerbrechlichkeit wie ein kostbares Gut für die Ewigkeit bewahrt werden muss.
Es ist diese Haltung des Künstlers, die seine Bilder, Zeichnungen und Skulpturen nicht zu sentimentalen Klischees werden lässt, sondern die ihre Anmut und ihre feinsinnige Zartheit – in die sich nicht selten eine subtile Ironie einschleicht – zu zeitgenössischen Statements eines aufmerksam Beobachtenden und seine eigene Umwelt Ordnenden macht.
Mit akribischer Hingabe widmet sich Georg Weise den immer gleichen Motiven, arbeitet in umfassenden seriellen Prozessen den Kern seiner alltäglichen Erfahrungswelt wie in einem Tagebuch heraus und destilliert Beobachtungen wie Erinnerungen gleichermaßen in Abbreviaturen seines subjektiven Empfindens:
Aus wenigen in Kohle aufgebrachten Konturlinien und einigen schattierenden Verwischungen zeichnen sich die Gesichter junger Männer ab. Sie bleiben als ausformulierte Zeichnungen stehen oder bilden die Grundlage großformatiger Malerei. Signifikant sind auch in solchen motivischen Übertragungen die Bildproportionen, denn nahezu immer stehen die Figuren bedrohlich isoliert und beinahe verloren in einer dominanten Flächigkeit.
Alles Portraithafte ist offenbar auf einen freundlich wachen Blick und die Natürlichkeit der jungen Männer konzen-triert. Köpfe und angeschnittene Schulterpartien nehmen lediglich ein Drittel im Zentrum der ansonsten weitgehend beräumten Bildformate ein.
Nicht anders verhält es sich mit den anderen Motiven in diesem malerischen Bildkosmos: Telegraphenmasten wirken vor bewegten Wolkenhimmeln wie Don-Quichoterien, scheinen einen vergeblichen Kampf gegen die Unbilden von Zeit und Raum zu führen. Blütenknospen und -kelche opfern ihre letzten Ressourcen berauschender Farbe, um sich in einem alles nivellierenden Weiß-Grau zu behaupten. Und auch die jüngst entwickelten Skulpturen schälen sich wie kostbare Edelsteine aus den rauen Kanten des spröden Eisengusses oder strahlen glänzend aus unpolierten Bronzen hervor. Nicht selten fühlt man sich an die „Daphne“ von Renée Sintenis erinnert, jene dramatisch in sich ruhende Frauenfigur, die sich hermetisch gegen die sie umgebende Welt verschließt. Auch sie – entstanden 1930 – erscheint als ein letzter Reflex von Schönheit, als Fanal in einer Welt, in der alles sich zu verflüchtigen droht.
Georg Weises feinsinniger Umgang mit wenigen figürlichen Motiven ist durchwebt von einem alles bestimmenden Eros der Erinnerung. Dieser überzieht Gesichter, Blüten und Gegenstände mit einer symbolischen Anreicherung und lässt sie zu beständigen Charakteren in einer dramatischen Handlung avancieren, in der die Alltagswelt Regie führt. Weises künstlerisches Weltbild scheint somit gleichermaßen distanziert-analytisch wie affirmativ angelegt zu sein. Figuren und Motive wirken auf uns romantisch beseelt, suchen scheinbar nach Behauptung und unterliegen dennoch einer immer wieder spürbaren, aber nicht genauer zu bezeichnenden Gefahr.



Ralf F. Hartmann (Dezember 2010)