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Die Blüte der Jugend
Notizen zu Werken von Georg Weise
(Text für den Katalog "AN MUT")

Aus der Tiefe eines nicht näher definierten Bildraums treten junge Männer oder Gegenstände heraus und verharren zögernd an der Schwelle zur Wirklichkeit. Das Œuvre des Künstlers Georg Weise präsentiert sich so vielschichtig wie die Farbstrukturen, welche die Bildgegenstände hinterfangen. Beim Anblick der Arbeiten wird die Sehnsucht nach Schönheit greifbar, die Weises Werk einem roten Faden gleich durchzieht. Das Bedürfnis, Anmut auf die Leinwand zu bannen, ist als treibende Kraft ebenso fühlbar, wie die Leidenschaft für das jeweilige Motiv. Ganz gleich, ob sich der Künstler Blumen oder Bäumen zuwendet, ob er die komplizierten Geflechte von Stromkabeln und Drähten aufnimmt oder sich mit Landschaften befasst, stets wird eine Sensibilität für die Schönheit des Augenblicks deutlich. Die Anmut eines Bildgegenstandes zu betonen, mag er anderen Betrachtern auf den ersten Blick auch belanglos erscheinen, ist ein wichtiger Aspekt in den Werken.
Immer wieder kehrt Georg Weise zu einem seiner favorisierten Motive zurück: Der Darstellung jugendlicher männlicher Schönheit. Die im Laufe der letzten Jahre entstandenen Portraits zeugen davon, welche Inspirationsquelle dieses Sujet für den Künstler darstellt. Spielerisch, doch zugleich vorsichtig tastend nähert er sich dem Motiv auf großformatigen Leinwänden an und sucht die Kommunikation mit dem Werk. Viele der Bilder werden in unregelmäßigen Abständen überarbeitet und weiterentwickelt. Schicht auf Schicht entsteht so das Werk und erzählt seine eigene Geschichte. Der Entstehungsprozess einzelner Gemälde erscheint als ein kontinuierlich in Bewegung befindlicher Fluss.

Kindheit und Jugend, der Prozess des Erwachsenwerdens und die damit verbundenen emotionalen Verunsicherungen beschäftigen den Künstler in besonderem Maße. Bei der Umsetzung der Bildideen fallen Merkmale auf, die sich bei aller Variation immer wieder nachweisen lassen. Die Figuren sind meistens isoliert und mittig ins Bild gesetzt, sodass die Aufmerksamkeit dessen, der sich auf das Werk einlässt, nicht vom Hauptakteur des Bildes abgelenkt wird. Auf diese Weise entsteht ein unmittelbarer Kontakt zwischen dem Motiv und seinem Betrachter. Aus manchen Bildern heraus nehmen die Dargestellten Blickkontakt mit ihrem Gegenüber auf, in anderen wiederum wenden sie sich ab, machen den Augenkontakt unmöglich und verweigern somit eine direkte Kommunikation. Die stilisierten Gesichter wirken oft entrückt, wie hinter einem Schleier. Bei den Porträts, deren Modelle die Augen geschlossen haben, verstärkt sich dieser Eindruck in besonderem Maße. Doch auch dort, wo sie geöffnet sind und fragend in Richtung Betrachter blicken, überzieht ein dünner, akribisch geglätteter Farbschleier das Antlitz und rückt es von der Realität ab.

In sich gekehrt und schüchtern treten die jungen Männer auf, die Hände zuweilen tief in den Taschen vergraben, die Schultern leicht hochgezogen. Gelegentlich kommen Attribute ins Spiel, die dem Bild weiterführende Bedeutungsebenen verleihen. Mal schmiegt sich ein junger Mann verträumt an einen Baumstamm an, der sich als ein Symbol von Kraft und Verwurzelung interpretieren lässt, jedoch zugleich auch die Idee des Wachsens thematisiert. Dann wieder tauchen Blumen auf, die in ihrer zerbrechlichen Anmut die Zartheit von Gefühlen und das Aufblühen der Persönlichkeit ins Bild bringen. Dennoch sind Blumen parallel dazu – in der Tradition niederländischer Stilleben des 17. Jahrhundert gelesen – zugleich auch Vanitas-Symbole, die auf die Vergänglichkeit allen Irdischen hinweisen. In diesem Sinne impliziert die dargestellte Jugendlichkeit trotz der Verklärung des stillstehenden Moments zugleich auch ihr unumgängliches Vergehen. Durch die sensible Annäherung an den Dargestellten wird das Werk zu einem Zeugnis des Charmes der Adoleszenz an der Schwelle zur Männlichkeit. Es sind gleichermaßen der Prozess von Selbstentdeckung und der Wunsch nach der eigenen Verortung im Leben, die hier festgehalten werden. Begehren und Lebenslust, Freude und Unsicherheit, zaghaftes Entdecken und Selbsterfahrung sind Aspekte, die vielschichtig in jedem Menschen vorhanden sind und in Weises Bildern lesbar werden.

Zu dem großem Reiz der Werke tragen auch die Hintergründe bei, die in der jahrhundertealten Technik der Enkaustik ausgeführt sind. Dabei dient Wachs als Träger der Farbpigmente und verleiht den Oberflächen ihren charakteristischen Glanz. Aufgetragen in vielen Schichten, bröckeln die Bildhintergründe partiell ab und evozieren dadurch einen Alterungsprozess, der ein Gegengewicht zu der Jugendlichkeit der Dargestellten bildet. Wie beim Blumensymbol zeugen diese Hintergründe von der Vergänglichkeit alles Irdischen sowie dem Entwicklungs- und Veränderungsprozess, dem alles unterworfen ist. Dieser Prozess ist in den Werken nicht abgeschlossen. Es ist durchaus im Sinne des Künstlers, dass sich die Bilder im Laufe der Zeit fortwährend verändern, an weiteren Stellen kleine Stücke der Wachs- und Farbschicht herausbrechen und auf diese Weise die Strukturen verändern.

Erinnerungen an unsanierte Berliner Hinterhöfe und Treppenhäuser werden wach. Jede Farbschicht, die stellenweise herausbröckelt, gibt den Blick auf die darunter liegende Ebene frei. Jede Schicht erzählt eine Geschichte, zeigt die Entwicklung des Werkes und gibt Einblicke in die Abfolgen des Farbauftrags. Damit stehen diese Hintergründe in direkter Beziehung zum Entstehungsort der meisten Werke. Die Wände des Ateliers im Berliner Stadtteil Friedrichshain zeigen ähnliche Strukturen und bis vor kurzem zeigten sich viele der Altbauten im Wohnumfeld des Künstlers ebenso. Mehr und mehr verschwinden diese charakteristischen Fassadenoberflächen jedoch aus dem Berliner Stadtbild und weichen geglätteten, durchsanierten Wänden. So scheint es, als würde die Umgebung des Künstlers gleichsam in seinen Werken aufgesogen und ein Stück ihres sich wandelnden Charakters in den Werken konserviert.

Obschon zuweilen Borten oder Baumstämme die Fläche gliedern, bleibt sie doch im Wesentlichen unbestimmt. Kein konkreter Bezugspunkt innerhalb des Bildhintergrundes gibt dem Auge Halt. Im Gegenteil. Der Betrachter wird aufgefordert, den Wegen der Farbe zu folgen, sich auf eine Reise durch den Bildgrund zu machen, wobei er immer wieder bei den ruhig im Bild stehenden Jungen ankommt. Die Strukturen und Texturen dienen dabei als Wegweiser. Die jungen Männer scheinen aus der Weite dieses undefinierten Hintergrundgestöbers gewissermaßen aus dem Nichts zu kommen und der Betrachter begegnet ihnen, ohne zu wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen. Die Farben sind eher zurückhaltend und bilden eine Parallele zu dem Gesichtsausdruck der jungen Männer. Mal wirken die Jünglinge versunken, nur ein leichtes Lächeln umspielt den Mund, mal schauen sie den Betrachter direkt an und scheinen einen Dialog zu suchen. Doch immer sind es bedachte und ruhige Gesichter. Auch wenn sie lachen wirken die jungen Männer entrückt.

Georg Weise gelingt es, dem flüchtigen Moment Gewicht zu verleihen und ihn auf seine Leinwand zu bannen. Das Verweilen beim Schönen und der Wunsch jenen flüchtigen Moment festzuhalten, schimmert in den Werken auf. Ein Augenblick nur, eine flüchtige Begegnung, ein Blick, ein Hauch, die stille Kommunikation zwischen Maler und Motiv werden hier in der Lebenswelt verankert. Zugleich stellen die Bilder eine Möglichkeit dar, nachhaltig an erlebtem und an Erinnerungen zu arbeiten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen kennt der Künstler alle seine Modelle persönlich und hat einen engen Bezug zu ihnen. Begegnungen und Begehren, Freundschaft und Liebe sind Aspekte, die in den Bildern miteinander verschmelzen. Dabei spielt die Vergangenheit als ein Faktor mit hinein, da Georg Weise sich in den Portraits auch mit seinen eigenen Erfahrungen des Erwachsenwerdens auseinandersetzt. Jedoch sind diese Werke weniger als eine Suche nach der verlorenen Zeit zu verstehen, sondern vielmehr der Wunsch, einen flüchtigen Moment festzuhalten.

Tobias D. Geissmann (Mai 2008)